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Bielefelder Kinos
Kamera
Krieg und Frieden, 1900, Dr. Seltsam, Moderne Zeiten, Ekel, Wer hat Angst vor Virginia Woolf, Rote Sonne, Szenen einer Ehe oder Rashomon: Es waren Filme mit diesen Titeln, die aus Kinogängern Filmfans oder sogar Filmverrückte gemacht haben. Dahinter steckte in Bielefeld kein anderer als Carl Aul. Im Alter von 38 Jahren eröffnete er 1950 hier in diesem imposanten Gebäude sein Kino „Kamera“ mit dem Untertitel „Lichtspiele im Haus der Technik“.
Nach langjährigen Erfahrungen als Kinotechniker und Programmverantwortlicher für andere wollte er nun endlich selbst fürs eigene Programm und die eigene Technik verantwortlich sein.
Der Vortragssaal im Haus der Technik der Stadtwerke bot sich an. Aul konnte ihn pachten. Angesichts der nach dem Zweiten Weltkrieg wieder wachsenden Konkurrenz wusste Aul, dass ihm nur eine Nische blieb: der sogenannte künstlerisch wertvolle Film.
Die „Kamera“ eröffnet mit dem Film „Polonaise“ über den Komponisten Frederic Chopin. Der Spielbetrieb mit 200 Plätzen läuft aber nur von Freitag bis Montag, die übrigen Tage haben sich die Stadtwerke für eigene Veranstaltungen reserviert.
Auf Dauer reichen dem Kinomann die eingeschränkten Spielzeiten nicht. Er muss außerdem in neue Technik wie CinemaScope investieren. Da die Stadtwerke auch keine langfristigen Pachtverträge mehr abschließen wollen, sucht Aul eine neue Bleibe.
Und findet sie 1957 hier im ehemaligen Wäsche-Schmitz-Haus an der Feilenstraße. 231 Besucher haben in der neuen Kamera Platz. Und hier zieht Aul – unterstützt von seiner Familie - konsequent sein Konzept durch, seine Kinobesucher mit genreprägenden, ungewöhnlichen, manchmal auch verstörenden Filmen bekannt zu machen und zu konfrontieren.
In Anspielung auf Auls Filmkunst-Konzept hatte das Westfalen-Blatt zur Eröffnung 1950 skeptisch geschrieben: „Es ist allerdings fraglich, ob man auf Dauer ein solches Programm aufstellen kann, und man muss abwarten, wie die Bevölkerung auf die proklamierte „neu Art“ reagiert.“ Auls Beharrlichkeit siegt.
Die „Kamera“ entwickelt sich hier zum meistausgezeichneten Filmkunsttheater Deutschlands – bis heute. 1978 übergibt Aul die Geschäfte an seine Tochter Ingrid Heise. 1990 bekommt die „Kamera“ kleine Ableger: „The Kid“ und „Casablanca“. Zwei Leinwände mehr sollen die wirtschaftliche Basis des kleinen Unternehmens verbreitern. 2008 übergeben Heises die drei Filmtheater an die Lichtwerker. Geschäftsführer Jürgen Hillmer hat die Keimzelle der Filmkunstvermittlung inzwischen auf den neuesten Stand der Technik bringen lassen und dabei die Tradition im Blick behalten: Die Lampen von 1957 strahlen auch 60 Jahre später noch im Saal.
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